Gleichzeitig an die Hand nehmen und loslassen - wie soll das denn gehen?
Von Michael Timmermann, veröffentlicht am 12 April 2024
„In einer Organisation, die gerade eine agile Transformation durchläuft, ging eine Führungskraft durch die Teams, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Mitarbeitenden mit den veränderten Arbeitsbedingungen umgehen. In einem Team wurde ihm die Türe ins Gesicht zugeschlagen mit den Worten: „Du hast hier nichts mehr zu suchen, wir sind jetzt selbstorganisiert…“
Das hat die Führungskraft natürlich schockiert, weil es völlig befremdlich war, dass die agile Transformation eine solche scheinbare „Entmachtung“ erzeugt. Ist das zwangsläufig so?
Es gibt gute Gründe, die Vorteile der Agilität zu nutzen, auch für große und komplexe Organisationen. Aber der damit verbundene vermeintliche Kontrollverlust kann Führungskräfte auf jeder Ebene stark verunsichern. Das liegt nicht nur daran, dass Rollen und Verantwortlichkeiten sich ändern oder Teams viel mehr selbstorganisiert sind, sondern auch daran, dass die Schnittstellen anders definiert sind. Der beschrieben Fall ist natürlich extrem, aber er zeigt ein oft auftauchendes Missverständnis auf: Hail to the chief“ wird zu „power to the people“. Führungskräfte haben nichts mehr zu melden, wenn Teams selbstorganisiert sind. Aber das stimmt so nicht; selbstorganisierte Teams bekommen ihre Freiheit im „wie“ der operativen Umsetzung, das „was“ und die Gestaltung der neuen Kultur bleibt weiterhin die Kernaufgabe der Führungskräfte.
Durchführung der Transformation
Wie eine solche Transformation erfolgreich durchgeführt werden kann und trotz der besonderen öffentlichen Umstände agile Arbeitsweisen etabliert werden können, zeigen wir hier an zwei unterschiedlichen Beispielen:
Einführung eines neuen agilen ZusammenarbeitsmodellBei einer Bank wurde in einer Effizienzinitiative ein neues agiles Zusammenarbeitsmodell für die IT eingeführt. Anstatt wie bisher in getrennten Bereichen zu arbeiten, sollten die IT und ihre Fachbereichspartner eine gemeinsame virtuelle Organisationseinheit aus Bausteinen bilden. Die Herausforderung für die Bank war vielschichtig: Agilität verlangt ein iteratives Vorgehen, die Möglichkeit Risiken einzugehen und Fehler zu machen. Nicht unbedingt der Standardansatz für eine Bank, die dazu noch in öffentlicher Hand ist und erheblichen regulatorischen Vorgaben unterliegt und ein hohes Reputationsrisiko hat.
Genauso wichtig wie die strukturelle Transformation war also von Beginn an auch die kulturelle, die eine neue Form der Zusammenarbeit erst möglich macht, und bei der Timmermann unterstützen konnte: Denn auch die Führungsebene und das Führungskonzept in einer agilen Umgebung müssen neu gedacht werden und unterschieden sich vom traditionellen Führungsverständnis der Bank. Der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation lag in der Kommunikation zwischen allen Akteuren, um jedem zu ermöglichen, der neuen Rolle gerecht zu werden, zum Beispiel durch Führungsretros mit Führungskräften der Linie und der agilen Rollen um Zusammenarbeit zu reflektieren und zu stärken, Rollenworkshops um neue Führungsrollen zu stärken, Lernveranstaltungen wie z. B. Scrum Learning Labs.
Gemeinsam mit dem internen Change-Team wurde eine großangelegte Kommunikationskampagne „Auf einen Kaffee mit den Bausteinen“entwickelt, in der wir unterschiedlichen Menschen in und um die Building Blocks in Podcasts, Videos und Intranet-Artikeln die Möglichkeit gaben, ihre Perspektive und ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Veränderung zu teilten und in den Dialog zu treten – und zwar nachhaltig.
Frühe Entscheidung für SAFe FrameworkEtwas anders gelagert ist der Fall bei einer Logistikorganisation wo es früh eine Entscheidung für das SAFe Framework gab, und ein starkes Augenmerk auf den Produktentwicklungsprozess gelegt wurde, um während der Umstellung im laufenden Betrieb volle Transparenz gegenüber dem Auftraggeber der öffentlichen Hand zu gewährleisten. Entscheidend war neben der Umstrukturierung der Kulturwandel, da es eine sehr starke Tendenz gab die alten Strukturen informell weiterzubetreiben – und zwar auf allen hierarchischen und kulturellen Ebenen.
Weil Betriebssicherheit und Zuverlässigkeit so wichtig waren, konnte die Veränderung nicht graduell durchgeführt werden, sondern musste zu einem festen Zeitpunkt abgeschlossen sein. Mit individueller Begleitung aller Fachbereiche und aller Führungsebenen, konnte Timmermann der vom Kunden gewünschte Change in Form eines Big Bangs umsetzen helfen.
Von heute auf morgen wurde die Aufbaustruktur von alt auf neu erfolgreich umgestellt, und das ließ gar keine Zeit dafür, sich nostalgisch am Alten festzuhalten. Die Führungskräfte wurden dabei nicht nur auf ihre neue Rolle – zum Beispiel als Scrum Master oder Release Train Engineer - vorbereitet, sondern auch auf ihre Funktion als Vorbild im Lernen. Begleitend wurden dabei neue Kulturformate entwickelt und als Konstante etabliert, Konflikte und Mißverständnisse wurden durch Moderationen und Interventionen zu Lerngelegenheiten. Die agile Arbeitsweise wurde dadurch auch auf allen Hierarchie-Ebenen ohne Brüche angenommen.
Fazit
Die organisatorischen und strukturellen Herausforderungen und die notwendige Haltungsänderung waren auch deshalb erfolgreich, weil wir in beiden Fällen die Organisationen während der Transformation individuell angepasst an die Hand nehmen konnten, damit sie dann die Sicherheit hatten auch „loszulassen“ und wirklich agil zu werden.